Nachhaltiger als durch die Eruption atavistischer Verhaltensvarianten konnten die komplexen Ökosysteme unseres Planeten nicht geschädigt werden. Die Ur-Szene dieser düsteren Realitätskonstruktion liegt zwar einige tausend Jahre zurück, aber es laufen weiterhin viele machtgierige Idioten herum. Neben den andauernden Gräueltaten, den Kriegen, Vergewaltigungen, der Ungleichheit und Sklaverei, ist die brutale Erziehung der Kinder zu destruktivem Gehorsam, auch in unseren modernen, aufgeklärten Gesellschaften noch weithin akzeptiert. Krankheiten sind kein Naturereignis, kein schicksalhafter Würgegriff, in ihnen manifestieren sich vielmehr die unheilvollen Auswirkungen der erzwungen Anpassung an perverse, dehumanisierende Lebensbedingungen.
Wer in eine Gesellschaft hineingeboren wird, die dem Vater die Anwendung angemessener Zuchtmittel gegen das Kind gestattet, und eine Körperverletzung rechtfertigt, wenn sie „maßvoll und angemessen und mit erzieherischer Absicht angewendet wurde“, wird sich ohne helfende Zeugen, die ihn vor seinen Eltern schützen, ganz sicher nicht zu einem liebenswürdigen, gesunden Erwachsenen entwickeln können.
Das Züchtigungsrecht wurde in Deutschland am 2.11. 2000 abgeschafft.
Demütigungen, Schläge, Ohrfeigen, Klapse, Betrug, sexuelle Ausbeutung, Spott, Vernachlässigung etc. sind Formen der Misshandlung, weil sie die Integrität und die Würde des Kindes verletzen, auch wenn die Folgen nicht sofort sichtbar sind.
In unseren Körpern sind evolutionsbedingt biologische Überlebens-Strukturen angelegt: so hat ein Kind im Säuglingsalter in einer CO2 Narkose eine größere Überlebenschance, als wenn es lauthals weint, denn es kann seine natürlichen Körperreaktionen auf den brutalen Umgang mit seinen Bedürfnissen noch nicht unterdrücken.
Als Kleinkinder sind in ihren halbwegs entwickelten Gehirnen bereits Abwehrmechanismen aktiv, um lebensbedrohliche Ereignisse verdrängen, verschieben, abspalten oder verleugnen zu können. Es gelingt ihnen jetzt, ihre starken Emotionen zu unterdrücken und die sie begleitenden, unablässig nachdrängenden Gefühle daran hindern, ins Bewusstsein vorzudringen, denn das wäre lebensgefährlich. Beide Überlebensstrategien misshandelter und in sozial isolierender Habachtstellung aufwachsender Kinder sind aber extrem energieintensiv und beeinträchtigen emotionale Entwicklung.
Wer einmal die Schreie eines verzweifelten Säuglings teilnehmend beobachtet, wird über die Intensität dieser Gefühle staunen.
Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch – Was ist damit gemeint? Das fühlende Kind, in: Dein gerettetes Leben, Alice Miller, Frankfurt am Main 2007
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Martin Luther (1483 – 1546) verfasste seine Anweisungen zu einer christlichen Kindererziehung zur Zeit der organisierten Entrechtung, der Dehumanisierung von Menschen, als man Frauen und Männer afrikanischer Herkunft für die Zwecke des transatlantischen Sklavenhandels in menschliche Objekte, menschliche Waren verformte. Europäische Frauen wurden aus demselben biopolitischen Kalkül in Hexen verwandelt und im Hexen-Holocaust vernichtet. Und die kollektiv halluzinierte Erbsünde denunzierte ausnahmslos alle Kinder von Geburt an als bösartige Geschöpfe, die mit kannibalischen Methoden erst noch „humanisiert“, zu gottesfürchtigen, willfährigen Menschen erzogen werden mussten.
Martin Luther, Anweisungen zu einer christlichen Erziehung, Quelle: Das evangelische Archiv im Internet
Denn was man allein mit Ruthen und Schlägen soll zwingen, das wild keine gute Art daraus, und wenn mans weit bringet, so bleiben sie dock nicht länger fromm, als die Ruthe auf dem Nacken liegt. Aber hie wurzelt es ins Herz, daß man sich mehr vor Gott, als vor Ruthen und Knütteln fürchtet. (… ) Darum soll man die Kinder also ziehen, nicht daß sie die Eltern zu fürchten, sondern daß sie wissen, daß sie Gott erzürnen, wenn sie ihre Eltern nicht fürchten. Also werden sie nicht kleinmütig werden, sondern wenn sie schon ihrer Eltern beraubt werden, weichen sie doch nicht von Gott, weder im Glück noch im Unglück; denn sie haben mit der Furcht Gottes ihre Eltern fürchten gelernt, und nicht Gott mit der Eltern Furcht.
Luthers pädagogische, der Rassenlogik folgende Instruktionen bilden die Grundlage der von Moritz Schreber über Johanna Haarer (NS-Ärztin und Erziehungsexpertin), bis ins 21.Jahrhundert geltenden, unter dem Sammelbegriff „Schwarze Pädagogik“ zusammengefassten Erziehungsmethoden der unausgesprochenen Todesdrohungen.
„Psychisch auffällige Kinder stellen die schwierigste Herausforderung für ein gemeinsames Lernen mit anderen dar. Ihre Zahl wächst rapide.“
Verhaltensauffällige Kinder. “Die Not ist riesengroß“, Martin Spiewak, DIE ZEIT, 10.4.2016
Meine These, dass die letztlich allen Krankheiten zugrundeliegende Ursache an er Basis unseres ganzen Lebens zu suchen ist, klingt brutal, muss aber nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen als valide gelten. Es sind in frühester Kindheit, durch fortgesetzte Misshandlungen erzeugte Entzündungen – die heute meist bereits im Säuglingsalter durch Antibiotika blockiert – über Jahrzehnte hinweg weiter schwelen und die brandgefährliche, als oxidativer Stress bezeichnete Gemengelage im Gewebe und den Zellen entstehen lassen. Die Immunreaktionen breiten sich – durch Medikamente immer wieder gehemmt – im ganzen Körper aus: sie warnen mit einer ungeheuer großen Bandbreite an Symptomen vor der drohenden Destabilisierung des gesamten Organismus.
Das Drama des begabten Kindes – Eine Um-und Fortschreibung, Alice Miller, Frankfurt am Main 1996
Free from lies: discovering your true needs
Die Kindheit ist nicht nur ein Lebensabschnitt, sie ist die Basis unseres ganzen Lebens, man kann sie nicht „ loswerden“, man kann sie aber integrieren, sich ihrer bewusst werden. Meines Erachtens muss man das tun, wenn man nicht länger krank und leidend sei will. Kein Medikament kann uns über die Ursachen unserer Not oder unserer Krankheiten informieren. Ein Medikament kann diese Gründe nur vernebeln und den Schmerz lindern – für eine gewisse Zeit. Aber die Ursachen, die nicht erkannt werden, bleiben weiterhin aktiv und fahren fort, Signale zu senden – bis zur nächsten Erkrankung, die man mit anderen Arzneimitteln behandeln wird, welche wiederum die Gründe für die Krankheit vernachlässigen. Dennoch sind diese Ursachen nicht unauffindbar, wenn der kranke Mensch sich für die Situation des Kindes interessiert, das er gewesen ist, und sich erlaubt, die Gefühle zu erleben, die ausgedrückt und verstanden werden wollen.
Dein gerettetes Leben, Alice Miller, Frankfurt am Main 2007